November 2018

Ob man es glaubt oder nicht, aber wir haben schon den 1. Advent und das Jahr ist schon bald um und dabei ziemlich schnell vergangen. Auch meine Zeit in Odessa verging bis jetzt wie im Flug, denn mittlerweile bin ich schon drei Monate hier. Das ist immerhin der ganze Herbst gewesen, bzw. schon ein Viertel meines Jahres hier als Freiwilliger. Und auch deswegen kamen bei mir schon die Gedanken, ob mir die Zeit eigentlich reicht, um alles zu erreichen, was ich vor hatte.

Klar, ein neues Land und eine neue Kultur entdecken, dafür sollte in einem Jahr wohl Zeit sein, aber um sie auch zu verstehen, dauert es länger. Noch immer wirft es mir neue Fragen auf, wie sich die Leute hier verhalten und vor allem wie ich mich verhalten soll. Das einfachste Beispiel ist, dass hier allgemein Männer einen auf "Gentleman" machen. Wenn sie mit Frauen unterwegs sind, tragen sie die Einkaufstüten und helfen ihnen, das wird als selbstverständlich angesehen. Wenn aber auf dem Weg zu meiner Wohnung eine Frau zwei schwere Tüten das Treppenhaus hinaufschleppt, lehnen sie Hilfe dankend ab.

Dagegen wenn du am Bahnhof stehst und jemand etwas in den Zug heben will, wirst du sogar von Weitem darum gebeten, doch bitte zu helfen. So ganz habe ich das System also noch nicht verstanden.

 

Und wer es bereits herausgelesen hat: Ja, ich habe jetzt seit Anfang November meine erste, eigene Wohnung. Und dann auch noch genau in dem Stadtteil, wo ich unbedingt hinwollte, denn hier ist die Straße, wo immer was los ist. Direkt das Gebäude neben mir hat einen 24/7 Supermarkt - Feiertage gib es keine. Der Blick aus meinem Schlafzimmer geht direkt zum Basar, wo man von Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch, Bekleidungen, Möbel, Gewürze, Blumen, Küchenausstattung, Elektrozubehör, usw. alles bekommt. Also einfach alles, was man sich vorstellen kann, was man auf einem festen und mobilem Basar findet, das findet man hier auch.. und vielleicht noch mehr.

Außerdem habe ich hier die perfekte Verkehrsanbindung zu meinen Arbeitsstellen und ziemlich genau in der Mitte. Marschrutka ist eine Minute vom Haus, Straßenbahn 5 Minuten entfernt und das nächste Einkaufszentrum schaff ich mit knappen 10 Minuten auch gerade noch zu Fuß.

Da ich ja vorher im zweiten Zentrum war, musste ich WC und Küche mit den Kindern und Mitarbeitern teilen und durch das Leben auf der Arbeit, konnte ich Privates und Arbeit nicht wirklich trennen und das Gefühl von heimkommen und abschalten war eher bedingt gegeben. Aber jetzt hab ich eine kleine Wohnung im sechsten Stock, Küche und Bad, mein Schlafzimmer und ein großes Wohnzimmer, außerdem noch einen großen Glasbalkon mit einem, wie ich finde, sehr schönen Ausblick - ein echter Glücksgriff diese Wohnung.

 

In der Arbeit passt alles bestens und es ist schon so eine Routine eingekehrt, dass ich schon gar nicht mehr weiß, was ich davon berichten soll. Mir fällt es nur mittlerweile leichter, den Kindern beim Hausaufgaben machen zu helfen. Außerdem fragen sie mich auch immer mehr, ob sie das und das dürfen oder sich jenes nehmen können. Wohl ein Zeichen, dass sie mich langsam also "vollen Mitarbeiter"  akzeptieren und auch wissen, dass ich endlich verstehe, was sie gerade von mir wollen.

Außerdem bekomme ich immer Komplimente für mein bayerisches Essen. Ja, bayerisch, nicht deutsch - diesen Unterschied habe ich ihnen schon beigebracht und die Semmelknödel mit Schwammalsoße für über 20 Leute kam auch gut an.

 


Was ich allerdings immer so beim Einkaufen will, wissen die Leute leider selber nicht - und ich oft auch nicht. Erst vor kurzem haben Mirjam und Ich bei mir daheim Pelmeni gemacht und jeder kennt bestimmt den Studententeufelskreis. Ihr kennt ihn nicht? Naja, ihr kocht Nudeln, und habt noch etwas Soße über, die will man nicht wegwerfen, also werden Nudeln gekocht. Oups, jetzt sind Nudeln übrig geblieben. So in etwa erging es uns mit den Pelmeni aus 500g Hackfleisch, als wir nach über einer Stunde Arbeit in der Küche noch Teig übrig hatten. Ich mache mich also auf den Weg zum Supermarkt. 50g gemischtes Hackfleisch muss gekauft werden. Natürlich versteht die Frau das Wort 'fünfzig' ganz und gar nicht und packt mir 350g rein. Unter dem Druck der vielen Menschen, die auch endlich an die Reihe kommen wollten, nehme ich die Tüte mit einem netten "Danke" mit nach Hause. Ihr könnt euch sicherlich Mirjams Begeisterung vorstellen als ich daheim angekommen bin. Nach ca. noch einer Stunde Arbeit, und sich Mirjam schon nach Hause verduftet hat, hatte ich noch Teig übrig.. und jetzt Pelmeni für 20 Personen.

 

Gekocht wurden diese in meinem neuen Kochtopf. Was heißt neu, ich habe ihn halt am Basar gekauft. Er ist schon etwas älter, aber ich dachte mir, für dieses Jahr passt er schon. Und weil das ja ein Flohmarkt war, hab ich mir gedacht, ich handle mit der guten Dame mal. Das habe ich dann auch geschafft und Topf mit Deckel auf ca. 6,50€ runtergehandelt. Für neue zahlst du Minimum 15€

Und als ich ihr das Geld geben wollte, fällt mir natürlich auf, dass ich mein ganzes Geld daheim in der Wohnung vergessen habe. Als ich ihr das genauso gesagt habe, war der Blick natürlich einzigartig.

Ich habe ihr aber versprochen, dass ich in 20 Minuten wieder da bin und das war ich 40 Minuten später dann auch - doch die Frau war schon weg. Ihre Freundin jedoch hatte den Topf samt Deckel bei sich und ihn mir dann verkauft.

 

Warum ich erst so spät zurückgekommen und die arme, alte Frau so lange warten lassen hab?

Ich hatte die erste Woche keinen Haustürchip - bzw. nur einen alten und kam dann eben nur in das Treppenhaus, wo sich der Lift befindet. Und der geht natürlich nicht. Somit musste ich immer auf Leute warten, die entweder in das Haus gehen, oder dieses gerade verlassen. Also saß ich oft bis zu 15 Minuten vor meinem Haus. Vor allem abends, wenn es mal kälter war, war das echt nicht das schönste Gefühl.

Aber einmal war das warten auf der Treppe nicht so schlimm, als eine junge Frau mich nach dem Schlüssel gefragt hat, weil sie ihren auf der Arbeit vergessen hatte. Wir haben uns dann über 10 Minuten in eisiger Kälte unterhalten, über meine Arbeit, was ich hier so mache, usw. Sie fand es sehr interessant. Bis dann endlich ein Mann kam, der einen Chip für's Haus hat und dieser nur zu uns meinte: "Die Türe ist offen, die war nur angelehnt." Auch ihr Blick war einzigartig und ich wollte mich nur verkriechen, weil sie wegen mir so ewig lange in der Kälte gewartet hat. Sie hat mich aber übrigens im Treppenhaus wieder gegrüßt und haben kurz geredet - sie ist mir also nicht böse.

 

Wer mir aber bestimmt bald böse ist, ist die Frau aus der Bäckerei. Die versteht nämlich nie, was ich kaufen will und ist schon ganz genervt, wenn ich das Gebäude betrete. Aber naja, wenn's da eben so schmeckt. Ich bestelle mir also ein Würstchen im Teigmantel und sie nimmt es raus und sagt dabei "vtscheratschie" (von gestern). Ich verstehe "gariatschie" (heiß) und dachte, die will es mir warm machen, also sag ich zur ihr "brauch ich nicht". Dann legt sie es wieder rein. Ich schaue sie an und sage wieder, ich hätte gerne so Würstchen und ihr Blick war unglaublich, als sie wieder sagt, es sei von gestern und ich meinte, 'ist ja ganz normal'. Ich bin wohl nicht ihr Lieblingskunde.

 

Naja, auf jeden Fall war der November ein sehr schöner Monat für mich, nicht weniger durch meine neue Wohnung. Ich habe jetzt endlich Arbeit und Privat getrennt, ich kann heimkommen und abschalten. Ein kleines Reich für mich, ein klein bisschen mehr Verantwortung. Und ein kleiner Schritt, in Richtung erwachsen werden und sich verändern hier, in Odessa.

- Drei Monate bin ich schon weg von daheim und ich freue mich schon auf die nächsten neun Monate in der Ferne -

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    c.utermoehlen@t-online.de (Dienstag, 18 Dezember 2018 10:20)

    Lieber Nico, ich habe deinen herzerfrischenden November-Blog gelesen und festgestellt- Ja! die Zeit rennt.Am lustigsten fand ich, dass du Semmelknödel mit Schwammerlsoße gekocht hast. Irgendwie fiel mir dabei plötzlich deine Lebensmittelvergiftung ein. Wie wäre es also mit einer kleinen "Rache" in Form von Pilzvergiftung??? Nein- das war jetzt Spaß. Ich wäre gerne da gewesen und hätte deine Kochkünste gelobt. Das was ich auf dem Foto gesehen habe, das sieht wirklich gut und appetitlich aus!
    Wir hatten hier einen traumhaften Sommer und der Herbst war nicht minder schön. Nun ist in wenigen Tagen schon Weihnachten und deine Familie wird dich sicher ein wenig daheim vermissen. Ich freue mich sehr, dass du eine eigene Wohnung hast! Es ist ganz wichtig, dass man einen Rückzugsort hat um abzuschalten. Es war definitiv eine sehr gute Entscheidung von dir und dass deine Wohnung so optimal gelegen ist, freut mich umso mehr! Ich bin schon gespannt, wie und mit wem du Weihnachten und den Jahreswechsel feierst.
    In diesem Sinne wünsche ich dir friedvolle Feiertage, die du wahrscheinlich mit lieben Menschen feierst die dir schon ans Herz gewachsen sind. Ebenso wünsche ich dir einen rasanten Rutsch in ein spannendes neues Jahr und freue mich sehr auf deinen Dezember-Blog.
    Alles Liebe und Gute bis dahin für dich - und pass immer gut auf dich auf!
    Fühl dich fest gedrückt und gebusselt
    Christel
    Vom 10. Februar bis 17. Februar sind wir in St. Englmar zum Skilaufen- vielleicht ergibt sich ein Besuch bei deinen Eltern.

  • #2

    Kröppel Claudia, Gerhard und Luca. (Samstag, 22 Dezember 2018 20:04)

    Hallo Nico !
    Wie ich in deinen Blog lesen kann hast du dich schon ganz gut in Odessa eingelebt.Ich hoffe du hast dort eine gute Zeit.Wir wünschen dir und all deinen Freunden und natürlich auch den Kindern Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr
    Liebe Grüße aus Franken von Familie Kröppel.